Der Weg vom Tierschutzhund zum arbeitenden Herdenschützer – oder warum es nicht unbedingt ein Hund vom Züchter sein muss
Ein Erfahrungsbericht von Ina Kraus, Nebenerwerbslandwirtin und Ziegenhalterin
„Das Abenteuer, Aris für die Arbeit an den Ziegen zu begeistern, hatte begonnen. Da ich schon eine Kangalhündin hatte, sind mir die charakterlichen Eigenschaften eines Herdenschutzhundes bekannt. Mir ist es wichtig, soziale und dem Menschen gegenüber freundliche Hunde zu haben. Aus diesem Grund wohnen meine Hunde die erste Zeit auch mit auf dem Hof und laufen im Rudel mit unseren anderen Hunden, mit denen sie im Winter, während der Stallzeit, eben auch in Kontakt kommen. Unsere „Herdis“ lernen so Menschen, Maschinen, andere Tiere und vieles mehr kennen. Eben alles, was jeder normal sozialisierte Hund kennen sollte. So lernen die Hunde ein sicheres und kompetentes Auftreten. Der Charakter wird gefestigt. Die Hunde lernen richtig zu unterscheiden zwischen Freund und Feind. Das ist maßgeblich für den Erfolg der späteren Arbeit.
Wenn wir beispielsweise spazieren gehen, ist das für meine Hunde Freizeit, andere Hunde werden freundlich begrüßt und es wird evtl. sogar gespielt. Sind meine Hunde hinter dem Zaun, werden vorbeilaufende Hunde verbellt und gewarnt. In diesem Moment sind unsere Herdenschutzhunde im Dienst.
Die Hunde bekamen viel Zeit anzukommen, beide waren am Anfang unsicher, was sich recht schnell legte. Sie lernten gewisse Strukturen, Abläufe und inmitten der Pferdekoppeln was ein E-Zaun ist, welcher eine unüberwindbare Grenze darstellen muss. Am Anfang hatten beide Hunde Angst vor Pferden, lernten jedoch recht schnell den Umgang und bewegen sich inzwischen selbstsicher zwischen den Tieren. Unsere Spaziergänge führten uns immer zu meinen Ziegen. So lernten die Hunde auch diese kennen.
Zeitweise hatte Aris Phasen, wo alles, was sich bewegte, mit lautem Bellen kommentiert wurde. Inzwischen weiß er ganz genau, wofür es sich zu bellen lohnt. Wobei er eher der Forsche ist und Aiva, meine Hündin, sich dezent im Hintergrund hält und nur im „Notfall“ mit eingreift.
Als diese Stufe der Entwicklung soweit erklommen war, gingen wir zum nächsten Schritt über. Wir holten Ziegen auf eine kleine Koppel am Hof und fingen an, die Hunde in immer längeren Abständen mit dazuzustellen. Genau wie bei den Pferden, war zuerst die Unsicherheit gegenüber den
Ziegen da, zwischenzeitlich überwog dann doch die Neugier. Aufdringliches Verhalten gegenüber den Ziegen wurde von diesen recht schnell gemaßregelt. Inzwischen ist es ein gutes Miteinander und die Hunde haben auch verstanden, dass es ok ist, tagsüber dort auf der Wiese zu bleiben. Es ist inzwischen ein selbstverständliches Ritual. „Eindringlinge“ werden verbellt. Nachts sind die Hunde noch im Pferdestall und schlafen in ihren Hütten.
Der nächste Schritt wird sein, die Hunde auch nachts bei den Ziegen auf der Wiese zu lassen. Sobald die restliche Herde über den Winter in den Stall einzieht, sollen die Hunde dort die Nächte verbringen, ihre Bindung zu den Ziegen weiter festigen und im Frühjahr dann mit der Herde auf die großen Weiden ziehen. Unser Abenteuer geht also weiter …
Beim langsamen Heranführen der Hunde an ihre Aufgabe gibt es Erfolge, genauso aber auch Rückschläge. Schließlich haben wir es mit Lebewesen und nicht mit stets funktionierenden Maschinen zu tun. Das Wichtigste überhaupt sind aus meiner Sicht Geduld, Spaß an der Arbeit und sehr viel Einfühlungsvermögen. Dann gelingt fast alles.“