Hunde können unser Leben ungemein bereichern und in der Regel tun sie das auch. Das ist immerhin schon seit vielen zehntausend Jahren der Fall. Leider vergessen wir Menschen aber dabei viel zu häufig, dass wir vom Primaten abstammen und der Stammvater des Hundes nun mal der Wolf ist.
Das hat maßgebliche Auswirkungen auf die Art der Kommunikation.
Oft verstehen wir Menschen nur schlecht, was unser Hund uns „sagen“ will. Wir sind auf Kommunikation durch Sprache und Laute geprägt, hinzu liebt es der Primat in uns etwas anzufassen, zu streicheln und in den Arm zu nehmen. Für den Wolf in unseren Hunden hingegen bedeutet diese Art der physischen Kommunikation etwas anderes als für uns.
Bedauerlicherweise gibt es wegen solcher Misskommunikation immer wieder schlimme Beißvorfälle im häuslichen Bereich. Nicht zu selten hängt der Hund „aus dem Nichts“ im Gesicht seines Menschen. Zurück bleiben tiefe Narben, manche für immer sichtbar, andere unsichtbar. Was passiert danach? Viele Hunde verlassen danach ihr Zuhause, kommen ins Tierheim und sind quasi nicht mehr vermittelbar oder sie werden eingeschläfert.
Natürlich kann ein solcher Vorfall nicht als Lappalie abgetan oder ignoriert werden. Aber es sollten sich alle beteiligten Menschen ehrlich die Frage stellen, wie das passiert ist und ob es wirklich keine Vorwarnung gab.
Zum Beispiel sollten folgende Fragen geklärt werden: War mein Hund in seinem eigenen Bett und ich habe mich ungeschickt und zu nah „dazugelegt“? Hat mein Hund mich mit einem ernsten Blick angeguckt? Oder sogar geknurrt? Vielleicht sogar Zähne gezeigt? Oder hat mein Hund geschlafen? Habe ich mich ohne Grund über ihn gebeugt? Hat er sich vielleicht erschrocken? Wollte ich ihn unbedingt knuddeln, weil er so, so süß in seinem Körbchen lag?
Wenn auch nur eine dieser Fragen mit einem „Ja“ beantwortet werden muss, hat der Mensch mutmaßlich einen Beitrag dazu geleistet, dass sein Hund ihn attackiert hat.
Es ist für Halter nicht immer leicht, sich einzugestehen, dass sie die Warnungen und Kommunikation ihres Hundes ignoriert haben und somit die natürlichen Grenzen des Hundes überschritten wurden.
Noch schwerer wird es, wenn der Mensch der Meinung ist, dass sich der eigene Hund alles gefallen lassen muss. Denn der Mensch wähnt sich in der falschen Sicherheit im veralteten Begriff des „Alpha-Tieres“ und meint, „der Hund muss nach MEINEN Regeln leben und wenn ICH ihn aus dem Schlaf reiße, dann muss er es gefälligst auch akzeptieren“.
Diese Meinung ist gleich mehrfach falsch. Dank neuerer Forschung wissen wir mittlerweile, dass es im Hunderudel keine Alpha-Tiere gibt, sondern Leittiere. Diese Rolle wird nicht durch Druck, Zwang und Aggressivität durchgesetzt. Sondern sie zeichnet sich durch Souveränität, Ruhe und einem ausgeprägten Teamgeist aus. Das Leittier lotet mögliche Gefahren aus und stellt die Gesundheit aller Mitglieder sicher. Es ist nicht böswillig, denn es weiß, dass nur ein Rudel, dessen Grundbedürfnisse gestillt sind, auch ein gutes Rudel ist.
Und zu den Grundbedürfnissen gehören: Wasser, Futter, Territorium und Schlaf.
Welche Rolle nimmt dann dieser Mensch ein, der meint, die Grundbedürfnisse seines Hundes bestimmen zu wollen? Und wenn es dann Protest seitens des Hundes gibt, dieser negativ gewertet wird, „weil der Hund angeblich seine Rangposition streitig macht“?
Dabei möchten unsere Hunde uns vertrauen, denn sie leben in unserer Welt, der Menschenwelt. Aber dieses Vertrauen müssen wir uns erarbeiten und das funktioniert nur, indem wir sie auch als Individuen anerkennen und Mitglieder des Rudels, dessen Grundbedürfnisse erfüllt sein müssen.
Und unsere Hunde zeigen uns, wann die rote Linie der Grundbedürfnisse überschritten ist.
Manchmal ist es nicht leicht, die subtilen Hinweise unserer Hunde zu sehen, zu lesen und zu verstehen. Es gibt gewisse Rassen (ja, vor allem unsere Herdis), die keine Ankündigung per Brief oder Telefon zur nächsten Eskalationsstufe verschicken. Aber in der Regel (denn es gibt immer misshandelte Ausnahmen) „sprechen“ unsere Hunde IMMER mit uns. Wir wollen oder können sie nur oft nicht verstehen.
Dabei ist es relativ einfach: Wenn unser Hund knurrt und die Zähne zeigt, sind das Drohungen und diese Drohungen müssen wir ernst nehmen, genauso wie wir auch wollen, dass unsere Hunde uns ernst nehmen, wenn wir ihn rufen oder ihm ein Signal geben.
Wo können also Unterschiede und Gefahrenpotenziale in der Kommunikation liegen? Wenn wir beispielsweise unseren Hunden zu nahekommen, sie knuddeln und ihnen auch noch von oben gebückt ein Küsschen auf den Kopf geben, dann bedeutet das in der natürlichen Kommunikation für den Hund, dass wir ihnen drohen.
Die meisten Hunde haben gelernt, dass diese Drohungen von vertrauen Menschen „normal“ sind und lassen viele Grenzüberschreitungen von uns zu. Aber Hunde, die sehr ursprünglich sind, misshandelt wurden, über wenig Erfahrung mit Menschen verfügen oder einfach mal ihre Ruhe haben wollen, können sich damit schwertun.
Nicht alle, aber mit Sicherheit einige Beißvorfälle im häuslichen Bereich, wären vermeidbar, wenn wir Menschen akzeptieren würden, dass unsere Hunde Orte brauchen, an denen sie mal ungestört (süß oder nicht) sein dürfen – Orte, die ihnen Sicherheit und Ruhe garantieren.
Wir Menschen müssen begreifen, dass es Grenzen für unsere hündischen Begleiter gibt. Eine gute Leitfigur, akzeptiert diese Grenzen auch, denn eine gute Beziehung basiert auf gegenseitigem Verständnis und Respekt und nicht auf ständiger Grenzüberschreitung und Unhöflichkeit.
Autorin: Veronika Linde